Der Weg zum Nest der Übersetzung
von Giulia Guarnieri
Giulia Guarnieri redet hier sowohl über ihre Interviews
mit dem Übersetzer von Italo Calvino, als auch über die Auseinandersetzungen,
die Calvino mit Pier Paolo Pasolini über die künftige Entwicklung der
italienischen Sprache hatte.
In den frühen 60-ern nahmen italienische Schriftsteller und
Intellektuelle teil an der letzten großen Episode der Jahrhunderte alten
Debatte in Italien über die "Questione della lingua", die
Sprachenfrage. Unter den damit Befassten waren natürlich Pasolini, der
provokative Veranstalter dieser Diskussion, Vittorio Sereni, Elio Vittorini,
Franco Fortini und Italo Calvino. Die Debatte berührte grundlegende Fragen um
die Entwicklung der italienischen Sprache, wie etwa das Überleben von Dialekten,
die Verbreitung von Neologismen, die Sprachpsychologie und die Notwendigkeit, zu
einer Nationalsprache zu finden. In seinem Artikel von 1964 "Nuove
Questioni Linguistiche" (Neue linguistische Fragen), veröffentlicht in
Rinascita, legte Pasolini die Parameter der Debatte fest. Pasolini, der immer
die Existenz einer gesprochenen Nationalsprache geleugnet hatte, gab nun
widerstrebend zu, dass eine Nationalsprache entstanden war. Er behauptete, dass
diese neu geschaffene Sprache die technokratische und industrielle Sprache
wiederspiegle, die von der neokapitalistischen Gesellschaft in Norditalien
ausgeformt worden sei. Pasolini erkannte, dass diese Sprache, diese Koine, nicht
das wiedergeben konnte, was er als die Mannigfaltigkeit und den Reichtum der
italienischen Dialekte und der Volkssprache beschrieb. Und er kommentierte das
so:
"La lingua parlata e dominata dalla pratica, la lingua letteraria
dalla tradizione: sia la pratica che la tradizione sono due elementi inautentici,
applicati alla realta, non espressi dalla realta. O, meglio, essi esprimono una
realta che non e una realta nazionale: esprimono la realta storica della
borghesia italiana che nei primi decenni dell’unita, fino a ieri, non ha
saputo identificarsi con l’intera societa italiana."
"Die gesprochene Sprache ist von ihrem Gebrauch dominiert, die
Schriftsprache von der Tradition: beides, Gebrauch und Tradition sind nicht
authentische Elemente, die auf die Wirklichkeit angewandt werden, sie werden von
der Wirklichkeit nicht ausgedrückt. Oder besser gesagt, sie drücken eine
Wirklichkeit aus, die keine nationale Wirklichkeit ist; Sie drücken die
historische Wirklichkeit der italienischen Bourgeoisie aus, die sich seit den
ersten Jahrzehnten der (nationalen) Einheit an bis gestern nicht mit der
gesamten italienischen Gesellschaft zu identifizieren vermochte."
(Pasolini, Pier Paolo. Häretische Empirik. Übers. von Louise K.
Barnett und Ben Lawton. Bloomington: Indiana University Press,1988 4.)
Italo Calvino fühlte sich aufgerufen, auf Pasolinis Behauptungen zu
antworten in einem Artikel mit dem Titel: L’italiano una lingua come le
altre (Das Italienische, eine Sprache wie alle anderen). Calvino stimmte mit
Pasolini überein, dass "l’italiano medio e una lingua impossibile,
infrequentabile" ("das Durchschnittsitalienisch ist eine unmögliche
Sprache, die nicht leicht zugänglich ist"), aber er legte sein Augenmerk
darauf, die Grenzen der linguistischen Szene auszuweiten, indem er die
internationale Gemeinschaft als Bezugspunkt verwendete. Calvino diskutierte die
Grenzen und Möglichkeiten der italienischen Sprache, wobei er den Übersetzungsvorgang
zur Unterstützung für seine Argumentation heranzog. Er bemerkte, dass
Italienisch die wichtige Eigenschaft der Dehnbarkeit besitze, welche ihre
wunderbaren Übersetzungen erleichtere, (zum Beispiel die Übersetzung von Moby
Dick durch Pavese). Jedoch dieser Vorteil hat auch seine Nachteile. Wird
italienische Literatur übersetzt, so verliert sie teilweise das, was Calvino
ihre poetische Essenz nennt.’
Calvinos Anliegen der Übersetzbarkeit der italienischen Sprache wird
in diesem Essay bestätigt. Er erkennt, wie wichtig es für alle kulturellen
Aussagen ist, (nicht nur literarische, sondern auch politische, wirtschaftliche
und wissenschaftliche), sich in einer Sprache auszudrücken, die einen hohen
Grad an Übersetzbarkeit aufweist. Nach Meinung von Calvino sollten Literatur
und Geistigkeit nicht auf die Grenzen einer Nation beschränkt bleiben, sondern
mit der Weltgemeinschaft von Lesern geteilt werden. Gelingt dieser Vorgang nicht,
so wird das Ergebnis eine isolierte italienische Literaturproduktion sein.
Italienische Romanschriftsteller würden nicht von europäischen Lesern gelesen
werden, sie würden darüber hinaus auch nicht auf der Suche nach einer größeren
Leserschaft den Atlantik überwinden können. Calvino glaubte, dass jeder
kulturelle Ausdruck auf einer internationalen Ebene durch seine Übersetzbarkeit
getestet werden sollte. Natürlich stellt er klar, dass er damit nicht etwa
meine, jemand solle beim Schreiben in einer anderen Sprache denken. Doch sollte
ein Schriftsteller die Wichtigkeit dessen nicht unterschätzen, sein Werk möglichst
übersetzbar zu gestalten, um so sein Überleben in der Literaturszene zu
sichern.
Für Calvino ist es wichtig, wie auch aus seinen Essays entnommen
werden kann, die Leserschaft nach allen Richtungen unendlich auszuweiten. Die
linguistischen Kodierungen werden sich als Folge davon vermehren und unbekannte
Pfade erobern bei Lesern, die das Gefühl bekommen, dass jetzt die Kluft
zwischen verschiedenen nationalen Kulturen und Literaturen überwindbar geworden
ist. Das sprachliche Labyrinth würde dann nicht mehr für den Leser ein
fruchtloser Pfad sein, den er durchwandert, sondern es könnte dagegen zu einer
Erfahrung des Reichtums von Sprachen werden. Der Bereich des Lesers innerhalb
der Möglichkeiten der Sprache und ein internationales Verständnis sollten
immer für Schriftsteller Priorität besitzen. Nach Meinung von Calvino werden
Sprachen nur überleben, wenn sie sich ihre hohe Mitteilungskraft erhalten können.
Im Gegensatz zu Pasolini behauptet Calvino, dass die Bildung eines neuen
technischen Vokabulars und einer solchen präzisen Terminologie dem
Italienischen erlauben würde, eine moderne europäische Sprache zu bleiben.
Pasolini stellt sich gegen Modernität, während Calvino für die Bildung und
Schaffung von möglichen neuen sprachlichen und literarischen Territorien offen
ist. Wenn es das Ziel der italienischen Sprache ist, zu überleben und ihren
Geist und ihre Literatur im Ausland zu verbreiten, dann ist es für die Sprache
wesentlich, sich wandeln und einer postmodernen Gesellschaft anpassen zu können.
Calvino bemüht sich bei seinem eigenen, ehrgeizigen Projekt, eine Sprache zu
schaffen, die aus präzisen und konkreten sprachlichen Kodierungen besteht,
welche die der Sprache eigene Übersetzbarkeit erhöhen, wobei ihr "geheimes
Wesen" dennoch erhalten bleibt. Wie er in seinem Essay von 1965, "L’antilingua",
bemerkt:
La nostra epoca e caratterizzata da questa contraddizione: da una
parte abbiamo bisogno che tutto quel che viene deto sia immediatamente
traducibile in altre lingue; dall’altra abbiamo la coscienza di che ogni
lingua e un sistema di pensiero a se stante, intraducibile per definizione. Le
mie previsioni sono queste: ogni lingua si concentrera attorno a due poli: uno
di immediata traducibilita nelle altre lingue con cui sara indispensabile
communicate, tendente ad avvicinarsi a una sorta di interlingua mondiale ad alto
livello; e se un polo in cui si distillera l’essenza piu peculiare e segreta
della lingua, intraducibile per eccellenza, e di cui saranno investiti istituti
diversi come l’argot popolare e la creativita poetica della letteratura.3
"Unsere Epoche ist von diesem Widerspruch charakterisiert: auf
der einen Seite brauchen wir, dass alles, was gesagt wird, unmittelbar in andere
Sprachen übersetzbar sei, auf der anderen ist es uns bewusst, dass jede Sprache
in sich ein Denksystem ist, das per Definitionem nicht übersetzbar ist. Ich
habe folgende Erwartungen: jede Sprache soll sich auf zwei Pole konzentrieren:
auf einen der unmittelbaren Übersetzbarkeit in andere Sprachen, indem sie dazu
tendieren, sich einer Art gemeinsamer Welthilfssprache auf hohem Niveau anzunähern.
Mit diesem Pol sind sie notwendiger Weise verbunden; Und dann auf einen Pol, in
dem sich die eigenartigere und geheime Essenz der Sprache heraus kristallisiert,
und der verschiedene Einrichtungen umfasst, wie etwa die Volkssprache und die
dichterische Kreativität in der Literatur.
In meinen beiden Interviews mit dem Übersetzer von Calvino, William
Weaver, habe ich mich für die Frage von Calvinos Idee der geheimen Essenz der
Sprache und ihrer Übersetzbarkeit interessiert. Es ist weithin anerkannt, dass
die Popularität Calvinos in Amerika durch die großartige Arbeit von Mr. Weaver
vergrößert worden ist, der beide Anliegen Calvinos voll versteht. Bei einer näheren
Analyse von Weavers Übersetzungen finde ich, dass es Weaver gelungen ist, das
zu bewahren, was Calvino mit der "geheimen Essenz" des Italienischen,
aber auch mit ihrer internationalen Kommunikationsfähigkeit meinte. Als ich ihn
fragte, was der wichtigste Aspekt bei der Übersetzung von Calvinos Werk gewesen
sei, erklärte Mr. Weaver, dass man, wenn man Studenten lehre, an eine Übersetzung
heran zu gehen, ihnen beibringen müsse, das nicht als wissenschaftliche Aufgabe
anzusehen, sondern eher als eine kreative Bemühung. Wie er es erklärt: "Theorien
werden einem nicht helfen, eine bessere Übersetzung zustande zu bringen, wenn
man dabei ist, ein Wort von Pirandello zu übersetzen. Theorie wird einem dabei
nichts helfen, wohl aber dagegen die Kenntnis seiner Werke. Das wird einen etwas
über den Stil, den Ton und die Persönlichkeit des Autors lehren."4
Bei meinem ersten Interview im Sommer 1993 diskutierten Mr. Weaver und
ich über Calvinos Einstellungen gegenüber den Übersetzungen von Weaver, und
er offenbarte mir, dass es eine der Bestrebungen von Calvino gewesen sei, seine
eigenen Bücher selbst zu übersetzen. Es ist verständlich, dass die meisten
Schriftsteller ihr Werk schützen wollen. Mr. Weaver erkannte das, da er sich
selbst oft "irgendwie als Eindringling" fühlte.5
Die Bemühungen von Calvino, in einer Sprache zu schreiben, die aus konkreten
und präzisen sprachlichen Kodierungen besteht, können überall in seinem
literarischen Werk entdeckt werden, besonders in den Cosmicomics mit
ihrer wissenschaftlichen Terminologie, oder in Invisible Cities (Unsichtbare
Städte), in Mr. Palomar, oder in If on a winter’s night a
traveler (Wenn nachts ein Wanderer), mit ihren gewaltigen semantischen
Feldern einer Literatur von phänomenologischer Beobachtung in Verbindung mit
der hohen Häufigkeit von Ausdrücken der Wahrnehmung: "squardo, fissare,
comtemplare, guardare, sequire (con lo squardo), concepire, scrutare, osservare,
sorprendere." ("Betrachten, anstarren, betrachten, folgen [dem Blick],
untersuchen, beobachten, Wahrnehmung, überrascht [von einem Blick]")
Mr. Weaver sagte dazu, es sei Calvinos sprachliche Essenz, die ihm
sehr viel geholfen habe bei der Übersetzung der Werke des Autors. Als ich ihn
fragte, wie er mit all den verschiedenen Arten von Vergangenheit beim
italienischen Werk umgehe, bemerkte Mr. Weaver:
"I verbi in Italiano sono tremendi, vi sono degli autori che non
facilitano certo questo compito, anzi loro stessi fanno confusione con I verbi,
questo non e certo il caso di Calvino ed Eco… ad esempio con Gadda si perde
forse il 40% o il 50%, le espressioni dialettali soprattutto, ma quello che
rimane e talmente importante che meglio avere quel poco che ci resta di Gadda
che non avere niente. Mentre con Calvino penso che si perda molto meno, perche
con scrittori piu letterari come lui cio che si perde non e il senso ma la
poesia." 6
"Die italienischen Verben haben einen gewaltigen Reichtum. Es
gibt Autoren, welche diese Aufgabe sicher nicht leichter machen, auch weil sie
selbst Verwirrung bei den Verben schaffen, aber das ist bei Calvino und Eco
sicher nicht der Fall ... Beispielsweise bei Gadda verliert man 40 oder 50%, vor
allem bei den dialektalen Ausdrücken, aber das, was übrig bleibt, ist so
wichtig, dass es besser ist, wenigstens das Wenige zu haben, was von Gadda übrig
bleibt, als gar nichts. Dagegen bei Calvino, denke ich, verliert man viel
weniger, weil es bei mehr literarischen Schriftstellern, wie er einer ist,
weniger der Sinn ist, den man verliert, sondern die Poesie." (die englische
Übersetzung des Interviews mit Mr. Weaver ist im Italian Quarterly veröffentlicht).
Als ich ein zweites Mal Gelegenheit hatte, mit Mr. Weaver zu reden,
sprach ich die Möglichkeit spezifischer an, dass Calvino direkt für die
Weltgemeinschaft schriebe. Das besonders in Hinblick auf seine Bemerkungen 1982
in einem Interview mit Lawrence Venuti, wo Weaver beobachtet hatte: "Bei
Calvino braucht man das italienische Alltagsleben nicht zu kennen, weil die Bücher,
jedenfalls die jüngsten, selten in einem wirklichen, modernen Italien spielen.
Aber bei anderen Schrifstellern, – zum Beispiel bei einem Roman wie Elsa
Morantes Geschichte, – ich glaube, hätte ich nicht all die Jahre in Italien
gelebt, ich hätte dieses Buch wirklich nicht übersetzen können, weil es voll
von Bezügen zu Ereignissen und Dingen ist und zu Lebensstilen, die gekommen und
wieder aus der Mode gekommen sind…Das Leben in Italien hat sich seit dem Krieg
dramatisch verändert." 7
Als ich Mr. Weaver fragte, ob er denke, Calvino hätte seine Romane
geschrieben, indem er in anderen Sprachen gedacht habe, sagte er, er würde das
nicht meinen. Er stimmte jedoch zu, dass es fair wäre, zu sagen, dass Calvino
von sich selbst nicht als einem italienischen Schriftsteller denke, sondern
einfach als Schriftsteller. Er setzte hinzu, dass, obwohl Calvino sehr schwierig
zu übersetzen sei, seine Werke besser übersetzbar seien als die von Gadda oder
Pasolini, die im Gegensatz dazu selbst in der Übersetzung italienische
Schrifsteller bleiben würden, während Calvino schon im Italienischen ein
internationaler Schriftsteller sei.
Zu dem, was seiner Meinung nach Calvino leichter übersetzbar mache im
Vergleich zu Gadda oder Pasolini, erklärte Mr. Weaver, dass Calvino seine
Romane nicht in erster Linie im Dialekt schreibe. Die Idee von Calvino, eine
Sprache zu bevorzugen, die Dialekt vermeide, war ein hervorstechender Zug seiner
neorealistischen Phase. In seinem ersten Roman, Der Weg zum Spinnennest,
benutzte Calvino am Rande Dialekt und Sätze, welche der gesprochenen Sprache
nahekommen, um die realistische Dimension des Romans zu vergrößern. Und doch
mochte er, wie der Autor oftmals erklärte, nicht, Dialekt zu benutzen, wobei
der Grund der war, dass er zwar die Präzision und Genauigkeit von regionalen
Ausdrücken sah, aber sie gleichzeitig als eine Begrenzung des ökumenischen
Potentials seines Werkes empfand. Wie Calvino auch im Vorwort zu Der Weg zum
Spinnennest schreibt:
"Anche l’altro grande tema futuro di discussione critica, il
tema lingua-dialetto, e presente qui nella sua fase ingenua: dialetto aggrumato
in macchie di colore (mentre nelle narrazioni che scribero in sequito cerchero
di assorbirlo tutto nella lingu, come un plasma vitale ma mascosto); scrittura
inadeguata che ora quasi s’impreziosisce ora corre giu come vien viene badando
solo alla resa immediata; un repertorio documentaristico (modi di dire popolari,
canzoni) che arriva quasi al folklore…" 8
.
"Auch das andere große Thema für künftige Diskussionen, das
Thema der Dialektsprache, ist hier gegenwärtig in seiner naiven Phase: Dialekt,
als Farbtupfen gesetzt, (während ich in den Erzählungen, die ich in der Folge
schreiben werde, versuchen werde, das alles in der Sprache wie ein vitales, aber
verborgenes Plasma zu absorbieren); eine inadäquate Schreibweise, die bald
praktisch kostbar wird, bald dahin läuft, wie es eben kommt, nur einer
unmittelbaren Wiedergabe hingegeben; ein dokumentarisches Repertoire (volkstümliche
Redeweisen, Lieder), das praktisch auf Folklore hinausläuft...."
Calvino, Italo. Der Weg zum Spinnennest, engl. Übersetzung von
Archibald Colquhoun. New York: The Ecco Press, 1976 10
So benutzt Calvino in Der Weg Dialekt sparsam in begrenztem
Ausdruck, welcher dem historischen Moment der Protagonisten angepasst ist. Mehr
noch, Calvino setzt Dialektwörter kursiv, wodurch innerhalb des Kontexts des
Romans ein graphisch isolierender Zug hinzu kommt.
Um zur Internationalität von Calvino als Schriftsteller zurück zu
kommen, Mr. Weaver erinnert sich, dass Calvino nur wenige Male die italienische
Version abänderte, um sie im Englischen besser zugänglich zu machen. Mr.
Weaver erklärte, dass dies Eco mehr tue als Calvino, und dass er sich nicht
erinnern könne, dass Calvino je größere Änderungen in der italienischen
Version seiner Romane vorgenommen habe. Er setzte allerdings hinzu, dass sich
Calvino dessen sehr bewusst wäre, dass alles, was er schreibe, unmittelbar
sofort übersetzt werden würde, und dass er bemüht sei, eine Sprache zu
benutzen, die immer genau und präzise ist..
Palomar ist voll schwieriger Metaphern, die in lange Passagen mit
wenig Interpunktion eingefügt sind. Dieses Werk zu übersetzen erwies sich als
schwierige Aufgabe für Mr. Weaver. Die Geschichte "Der Bauch des Geco"
hat Absätze mit 8 und 9 Zeilen ohne ein einziges Interpunktionszeichen, und nur
ein erfahrener Übersetzer wie Mr. Weaver konnte diese Interpunktion getreu
erhalten. Als ich ihn fragte, wie er an Calvino’s Interpunktion heranginge,
antwortete er:
"La punteggiatura italiana e assolutamente pazzesca. Una mia
amica ha scritto un libro a proposito dal titolo "Ars punctuandi" dove
ha preso una pagina di Moravia e ‘lha spedita a venti noti scrittori, tra cui
Moravia stesso e ognuno le ha mandato indietro una versione diversa dall’altra,
incluso Moravia che ha cambiato la propria punteggiatura originale. In inglese
ci sono delle regole molto piu ferree, e io ho un senso molto sviluppato della
punteggiatura dato il mio upbringing molto rigido dal quel punto di vista e
avendo studiato molto il latino."
"Die italienische Interpunktion ist absolut verrückt! Eine
meiner Freundinnen hat ein Buch geschrieben mit dem Titel "Ars punctuandi",
die Kunst der Interpunktion. Sie hat dazu eine Seite von Moravia genommen und
hat sie an zwanzig bekannte Schriftsteller geschickt, darunter auch an Moravia
selbst. Und jeder hat ihr eine andere Version zurückgeschickt, einschließlich
Moravia, der seine eigene ursprüngliche Interpunktion abgeändert hatte.
Englisch hat viel striktere Regeln für die Interpunktion als Italienisch. Ich
habe einen starken Sinn für Interpunktion entwickelt, weil ich aus einer sehr
strengen Erziehung komme und darüber hinaus lange Latein gelernt habe."
(Übersetzung des italienischen Textes vom Interview mit Mr. Weaver
von A.Kowal).
Als er die Lezioni Americane schrieb, war Calvino besonders besorgt,
denn er schrieb sie ausdrücklich für das amerikanische Publikum. Mr. Weaver
behauptet, dass Calvino sie, wie er es ausdrückt, in einer "halb übersetzbaren"
Sprache geschrieben habe; und manchmal sei er zurück zur italienischen
Originalversion gegangen, um Änderungen zu machen, die besser zur englischen
Version passten. Calvino arbeitete auch mit seinen französischen und spanischen
Übersetzern eng zusammen.
Es würde mich nicht überraschen, wenn Calvino eine Kurzgeschichte
geschrieben hätte, in welcher die Helden Wörter sind, die Reisen in die
verschiedene Hauptstädte der Welt planen. Calvino hat immer Verständnis für
die Schwierigkeit beim Übersetzen gehabt und hat einmal seinen Übersetzer
folgend angeredet: "An Bill, den Übersetzer, der wie ein Heiliger ist."
Mr. Weaver hat offen gelegt, dass er mit Calvino sehr eng zusammen arbeite und
dass sie darüber, wie ein Wort oder eine Phrase zu übersetzen sei, oft
Meinungen austauschten, aber Calvino ändere nur selten die italienische
Version, um sie der englischen besser anzupassen:
"A volte I suoi suggeriementi erano davvero ottimi, ma a volte…no
non funzionavano proporio. Tra I due sicuramente ero io a conoscere l’inglese
meglio di lui e quindi potevo capire meglio quando una cosa non funzionava in
inglese. A volte lui interveniva sulla parte italiana e cambiava la costruzione
in modo che risultasse meglio la versione inglese." 10
"Am Anfang pflegte ich ihn zu den dringlichsten Problemen zu
konsultieren: manchmal waren seine Vorschläge wirklich gut, aber manchmal ...
nein, da haben sie gar nichts gebracht. Von uns beiden war sicher ich derjenige,
der besser Englisch konnte als er, und daher konnte ich besser erkennen, wenn
eine Sache im Englischen nicht hinkam. Manchmal machte er dann in die
italienische Fassung einen Eingriff und änderte den Satzbau, so dass er besser
zur englischen Version passte. Im Allgemeinen diskutierten wir alle Veränderungen
durch, die zu machen waren."
Calvino war fähig, seine Sprache in das postmoderne globale Dorf mit
seinen vielfach möglichen Lesern zu projizieren, indem er eine hoch
kommunikative Sprache verwendete. Sein Bewusstsein über die sprachliche
Problematik war ein entscheidender Punkt in seinem dichterischen Werk. Nach
Meinung von Calvino sollten Schriftsteller darauf abzielen, die besondere Essenz
der italienischen Sprache zu bewahren, indem sie den Grund für ihre 'Internationalität'
legten. Das bemerkte er auch in einem Überblick aus dem Jahr 1965 mit dem Titel
"Lingua e Societa" (Sprache und Gesellschaft):
"Io direi che l’effettiva simbiosi avviene con questa ‘lingua
internazionale’ che ha la sua radice nel terreno della ricerca scientifica e I
suoi centri di espansione nelle sale di comando di torri di controllo, in ogni
specie di stanza dei bottoni. I conservatori, con rammarico profondo, possono
vedervi il prevalere dell’inglese o dell’americano. Ma si nota subito la
vitalita di altre forme, non escluse forme di parole italiane, che emergono a
livello internazionale, anche se I fenomeni sono osservati unicamente in
superficie alla maniera dei condervatori."
"Ich würde sagen, die effektive Symbiose kommt mit dieser 'internationalen
Sprache' zustande, die ihre Wurzel auf dem Gebiet wissenschaftlicher
Untersuchung hat, und ihre Ausbreitungszentren in den Kommandostellen der
Kontrolltürme, in Kontrollzentren jeder Art. Die konservativen Intellektuellen
können sich, nur mit tiefem Bedauern die Vorherschaft des Englischen oder des
Amerikanischen vorstellen. Aber man bemerkt sofort die Vitalität von anderen
Formen, davon nicht ausgeschlossen von italienischen Wortformen, die auf
internationaler Ebene auftauchen, auch wenn die Phänomene in der Betrachtung
der Konservativen einzig an der Oberfläche auftauchen."
Ich frage mich, ob Calvino mit dem Weg zufrieden sein würde, den die
italienische Sprache (seither) genommen hat. Man kann behaupten, dass er wohl
nicht begeistert sein würde über die Entwicklung des heutigen Italienisch. In
seinem letzten Werk, Lezioni Americane, sagt er: "mi sembra che il
linguaggio venga sempre usato in modo approssimativo, casuale, sbadato e ne
provo un fastidio intollerablile."
("Mir scheint, dass die (gesprochene)
Sprache immer nur als Annäherung gebraucht wird, zufällig, unaufmerksam, und
ich halte das für unerträglich lästig" - Calvino, Italo. Sechs
Memoranden für das nächste Jahrtausend.Übers. William Weaver.Cambridge,
Massachusetts, 1988) Seine
eigenen Bemühungen gingen dahin, eine Sprache von internationaler Großzügigkeit
zu schaffen, eine, die fähig ist, zahllose mögliche Universen zu erschaffen
mit dem gleichen kreativen "Schwung", den Mrs. Ph(I)NK0 in den
Cosmicomics beim Tagliatellemachen hat: "alles in einem Punkt:"
In einem wahren Ausbruch von allumfassender Liebe, wobei sie
gleichzeitig das Konzept des Raums und, eigentlich den Raum selbst und die Zeit
dazu, die universelle Gravitation und das gravitierende Universum ins Leben ruft
und so Billionen und Billionen von Sonnen und Planeten und Weizenfeldern möglich
macht, steht Mrs. Ph(I)Nkos, verstreut über die Kontinente der Planeten, da und
knetet mit mehligen, ölglänzenden großzügigen Händen ihren Teig. Und eben
in diesem Moment ging sie verloren, und wir beklagen ihren Verlust." 13
So wie wir natürlich auch den Verlust von Calvino beklagen.